TRACKS OF PERCEPTION
Di., 17. Mai
|SWR Festspiele Schwetzingen 2022
eine Marienvesper
Zeit & Ort
17. Mai 2022, 19:30
SWR Festspiele Schwetzingen 2022, Mozartsaal Schloss Schwetzingen
Informationen
TRACKS OF PERCEPTION -
Eine Marienvesper
17. Mai 2022 - 19:30 Uhr
Mozartsaal
Schloss Schwetzingen
Einführung um 18:30 Uhr
Webseite: SWR Schwetzinger Festpiele
Besetzung
Hanna Herfurtner - Sopran
Olivia Stahn - Sopran
Bernadette Beckermann - Alt
Amélie Saadia - Alt
Benjamin Glaubitz- Tenor
Tim Karweick - Tenor
Florian Götz - Bass
Felix Schwandtke - Bass
Lee Santana - Theorbe
Juliane Laake - Viola da Gamba
Mira Lange - Cembalo
www.swr.de/swrclassic/schwetzinger-festspiele
"When I go about learning a new tonal relationship, at first I find it can be abstract or dissonant, but once I discover its resonating properties, shadows moving into focus, dimensionality opening, I find myself in a beautiful vibrating plane of infinite points." - Catherine Lamb
Im 17. Jahrhundert gab es eine bemerkenswert hohe Anzahl von Nonnenklöstern in ganz Italien, und vor allem der Lombardei. Durch das Konzil in Trient von 1563 waren die Nonnen dazu gezwungen, in nahezu völliger Abgeschiedenheit von der Außenwelt zu leben. Es wird daher nicht überraschen, dass die Musik so einen hohen Stellenwert im klösterlichen Leben einnahm, war der Gesang doch die einzige Möglichkeit dieser Frauen, sich in der Welt buchstäblich Gehör zu verschaffen. Man mag es als Ironie der Geschichte ansehen, dass ausgerechnet die große Pestepidemie von 1630 in Mailand und Venedig den musizierenden Nonnen zu größerer Bekanntheit verhalf: Die Krankheit tötete ein Drittel der Bevölkerung und zwei Drittel des männlichen Klerus – die Abgeschiedenheit der Nonnenklöster hatte ihre Bewohnerinnen hingegen weitestgehend vor der Pest bewahrt. Entgegen strenger Restriktionen von Seiten kirchlicher Autoritäten waren nach der Epidemie die Kapellen der Nonnenklöster die größten und wichtigsten musikalischen Institutionen in Mailand.
In diese Zeit fällt auch das Schaffen von Chiara Margarita Cozzolani (1602 – ca. 1676-78), die seit 1620 am Kloster Santa Radegonda in Mailand als Maestra di Capella fungierte und schließlich zur Äbtissin aufstieg. Unter ihrer Leitung entwickelte sich der klösterliche Chor zu einer musikalischen Attraktion: „Die Schwestern von Santa Radegonda in Mailand sind mit solch seltenen und ausgezeichneten musikalischen Fähigkeiten ausgestattet, dass sie als die besten Sängerinnen Italiens angesehen werden....Unter diesen Schwestern verdient Chiara Margarita (sic!) das höchste Lob für die außergewöhnliche und hervorragende Würde ihrer musikalischen Erfindungen...“ (Ein Zeitzeuge 1670)
Der stete Besucherstrom, den diese exzellenten Musikerinnen anzog, erregte besorgte Aufmerksamkeit bei den bischöflichen Beamten, die mehrfach versuchten, das musikalische Schaffen in Radegonda wegen der angeblichen Weltlichkeit der Musik zu zensieren. All dieser Unbill zum Trotz veröffentlichte Cozzolani innerhalb kürzester Zeit mehrere Sammlungen ihrer Werke. Auch wenn im Kloster ausschließlich Frauen gesungen haben, hatte sie im Druck ihre mehrstimmigen Werke für Frauen- und Männerstimmen eingerichtet.
Aus ihren Psalmvertonungen und kleiner besetzen Concerti entsteht nun eine überschwenglich und hochenergetische Marienvesper, die die Himmelskönigin, die freudige Erwartung Marias und die glücklich verliebte Mutter feiert.
An die Stelle des traditionellen Hilferufs Deus in adiutorium meum intende tritt Hildegard Westerkamps Breaking News von 2002, Hilferuf und Verkündigung in einem, das sie im Auftrag des kanadischen Rundfunks zum ersten Jahrestag des 11. September 2001 geschaffen hat.
Beginnend mit dem Herzschlag des ungeborenen Kindes entsteht ein zeitgenössischer Puls, der sich durch die Marienvesper webt. Er findet sich wieder in Catherine Lambs Puls/shade, das den Ensembleklang von „upper ranged voices“ unters Mikroskop legt, und gleichzeitig die bei Cozzolani so viel besungene Ewigkeit abbildet: Ihr Stück ist als Kreis notiert und hat demnach eigentlich keinen Anfang und kein Ende. Der Puls wächst zu sakraler Größe an in Michèle Bokanowskis Koré, einer Pionierin der musique concrète. Auch in ihrem Stück geht es um die Verschmelzung von Stimmen, hier mit den glockenschlagartigen elektronischen Sounds, die vom Band kommen. Ein großes Werk, das wie ein abstraktes Echo der achtstimmigen Sätze von Cozzolani verstanden werden kann.
Zwischendurch blitzen Ausschnitte aus Moments of Laughter auf, einer Kollage von Hildegard Westerkamp für Tape und Stimme aus elektronischen Klängen, Geräuschen und field recordings ihrer heranwachsenden Tochter. Der Moment des Lachens ist nach Julia Kristeva der Moment im Leben eines Kindes, in denen es den anderen Menschen als getrennt von sich wahrnimmt. Es ist kein Moment der Angst oder der existenziellen Einsamkeit, sondern ein Augenblick der Freude über Verbundenheit und Zuneigung.